Thomas Harlan über Sprache
“… und so fing ich nun an, mich freier zu fühlen beim Schreiben und losgelöst von aller Begründung, und deshalb um so mehr verbunden mit dem großartigen Sinn, der in der Sprache auf der Lauer liegt, ohne daß man es immer vorher gewußt hätte, und wovon man sich jetzt überraschen lassen durfte, die Entdeckung des unter dem Herzen Eingeweckten“
(Thomas Harlan in Hitler war meine Mitgift, S.215)
„Sprache ist etwas sehr Selbständiges. Das ist nicht etwa eine Sache, mit der Sie etwas sagen wollen. Das ist ja nur ein Missbrauch, wer die Sprache dazu benutzt um etwas sagen zu wollen, das ist ja schon ein solcher Missbrauch, dass es die Sprache gar nicht mehr gibt. Die will. Da müssen Sie folgen und klug folgen und noch mal säubern nachher, nicht zittern, Sie stürzen auch zwischendurch ab.“
(Thomas Harlan in Wandersplitter)
„Das müsste man später beschreiben, dass es fast niemanden mehr gibt, der richtig deutsch sprechen kann. Und zwar nicht, weil er die Worte nicht kennt, sondern weil das Geräusch zwischen den Satzteilen immer nur versteckt, dass irgend etwas aneinander geklebt wird, was vorfabriziert ist. Es sind vorfabrizierte Satzteile, es gibt keine eigenen mehr. Jeder weiß nur, dass man so etwas jetzt sagen müßte und holt sich aus der Beispielhaftigkeit anderer Sätze Teile zusammen. Die Sätze sind nicht deine eigenen. Du hast also nichts gesagt. Hochinteressantes Thema: Sprache und der Besitz von Sprache. Ich meine es deshalb, weil es ein fantastisches Beispiel gibt, wie man Persönlichkeiten ihrer Persönlichkeit enteignen kann. Und zwar hilflos macht. Sie kommen von dort nicht mehr zurück zu sich. So etwas Einfaches meine ich: Wer sagt noch seinen Satz?“
(Thomas Harlan im Gespräch mit Gabriele Voss, in Thomas Harlan Memory)
„Ich habe bei einem Satz nie das Gefühl von Länger-, sondern von Höherwerden. Er steigt in die Höhe, steigt und steigt, bis er stürzt.“
(Thomas Harlan im Gespräch mit Sieglinde Geisel)
Esther Kormann
„Während ich ihn, ganz unmessegemäß langsam und auf jede Abkürzung bedacht, Atem sparend von Termin zu Termin brachte, entführte Thomas mich in eine atemberaubende Parallelwelt. Dort gab es keinen Unterschied zwischen Alltagssprache und Poesie. Thomas Harlan nahm sich beim Umgang mit Grammatik und Syntax fast schon unverschämte Freiheiten, er jonglierte mit den Worten auf eine Weise, dass man den Eindruck hatte, man höre eigentlich Musik.“
(Esther Kormann, seinerzeit Lektorin bei Eichborn Berlin, über den Besuch der Leipziger Messe 2001, in Thomas Harlan Memory)
Beate Ziegs
„(…) und war allein mit seiner Stimme. Ich hörte ihr zu – sah es nahezu –, wie sie durch die Kopfhörer in meine Ohren kroch. Etwas gepresst, niedergepresst vom Rasseln des Atems. Und doch voller Neugier und Lebenslust Silben und Worten nachspürend, sie regelrecht aufspürend, bis sie druckreife Sätze bildeten und das in Töne formte, was die Sprache der Stimme vorgab. Denn ‚die Sprache spricht sich selbst‘, sagte er, ‚man muss ihr nur nachkrabbeln‘.“
(Beate Ziegs über Radio-Aufnahmen mit Thomas Harlan, in Thomas Harlan Memory)
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