Von Sieglinde Geisel
Als ich im Sommer 2008 den Verleger Wolfgang Hörner (damals noch bei Eichborn Berlin) fragte, wer sein wichtigster Autor sei, nannte er ohne Zögern Thomas Harlan. Dies sei gleichzeitig seine größte Enttäuschung über den Literaturbetrieb gewesen. Thomas Harlans Werk fand bei der Kritik wenig Resonanz, von Ausnahmen abgesehen.
Ich las „Heldenfriedhof“, war gefesselt von der Sprache – und verstand kein Wort. In der Absicht, ein Porträt für die NZZ zu schreiben, besuchte ich Thomas Harlan im Januar 2009 in der Klinik in Schönau am Königssee. Das Gespräch, das damals begann, hielt an bis zu seinem Tod. Weder seiner intellektuellen Präsenz noch seiner Kreativität im Gespräch konnte die Krankheit etwas anhaben (siehe auch „Wandersplitter“ und „Hitler war meine Mitgift“). Ich lernte unendlich viel über Kunst und Sprache, über Schönheit und die Gegenwärtigkeit der Shoah, in deren Folge die Haare aller Deutschen hätten weiß werden sollen, so Thomas Harlan in einem seiner treffenden Sprachbilder.
Warum diese Website? Weil Thomas Harlans Prosa eine lebendige Auseinandersetzung braucht, gerade angesichts ihrer Rand-Existenz im Literaturbetrieb. Das gleiche gilt für seine Filme, die noch kaum im Kino zu sehen waren.
Erfolg dürfe man nicht mit Wirkung verwechseln, sagte Heiner Müller, der mit Thomas Harlan befreundet war. Thomas Harlans Werk ist in die Zukunft geschrieben. Das bedeutet, dass wir erst lernen müssen, es zu lesen. Nach dem Verstummen des Autors können wir Leser nur noch voneinander lernen. Zum Glück gibt es über außerordentliche Literatur auch außerordentliche Kritiken. Was Bruno Steiger über „Rosa“ oder Bert Rebhandl über „Heldenfriedhof“ geschrieben haben, vermag Türen zu öffnen. Wer Michael Farins Hörspielfassungen von „Heldenfriedhof“, „Rosa“ und „Veit“ kennt, findet den Weg leichter ins Buch.
„Ich habe mir meine Zukunft bewahrt“, antwortete Thomas Harlan einmal auf die Frage, warum er innerlich nicht gealtert sei. Wenn es gelingt, das Gespräch über seine Literatur auch nach seinem Tod weiterzuführen, bleibt dieser Satz wahr.
Nichts anderes ist der Sinn dieser Website.
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